Reba Si – Kulturprojekt Reba 84 erhalten

Von der Schönheit der Chance

Man muss auch mal nein sagen können!

Die Stadt Chemnitz ist eine eher kleine Großstadt und kämpft mit den üblichen Problemen ostdeutscher Industriehochburgen. Kennzeichnend ist der Verlust an Einwohnern und Urbanität. Trotz stetigem Abriss von Wohnsubstanz stehen ungefähr 30.000 Wohnungen in Chemnitz leer. Hier setzt der Streit an, ob dies als Freiraum oder zu beseitigender Schandfleck zu betrachten ist. Nach Jahren des ungebremsten Abriss stadtbildprägender Quartiere, insbesondere auf dem Sonnenberg und in der Innenstadt, wandelt sich allmählich der Umgang mit der eigenen Stadt. Ein Hintergrund ist zweifellos die Änderung in den Förderbedingungen im Bundesprogramm Stadtumbau Ost, der in Chemnitz vor allem als Stadtabriss Ost umgesetzt wurde. Abriss ist seit dem 1.01.2010 deutlich weniger lukrativ und sollte damit kaum noch Freunde finden. Eine neue Strategie ist bereits auf dem Sonnenberg sichtbar. Dort wird plötzlich nicht mehr abgerissen sondern eingemottet. Aber nicht nur finanzielle Gründe stehen hinter diesem Wandel. Bürgerinitiativen verschiedenster Art wurden gegründet, um eigene Ideen einzubringen, wie der von der Politik als notwendig angekündigte Stadtumbau aussehen könnte. Dabei gibt es länger agierende, räumlich nicht gebundene Gruppen wie das Stadtforum (www.stadtforum-chemnitz.de), die den Kampf gegen den Abriss „historischer Substanz“ aufgenommen haben und damit vor 1945 gebaute Häuser meinen oder stadtteilbezogene Initiativen wie die BiMM (Bürgerinitiative Morgenleite/ Markersdorf-Nord)“, die ihre „Großplatte“ im Heckert-Gebiet verteidigt. Selbständig oder verknüpft tummeln sich dazwischen genügend Vereine und Gruppen, denen eins gemein ist: Sie wissen ziemlich genau was sie nicht wollen.

Gehen Sie durch diese Tür …

Die Stadt Chemnitz hat ein Stadtentwicklungskonzept (SEKo), das die offiziellen Rahmenbedingungen für Stadtumbau und Stadtentwicklung festlegt. Das ist toll, interessiert aber kaum jemand. Im Prinzip wurstelt jeder für sich herum. Der Stadtteil mit dem größten Potential für Ideen und Selbstverwirklichung ist der Sonnenberg. Er hat die klassische Stigmatisierung als „schlechtes“ Viertel (die von der Statistik untermauert wird) und verfügt über jede Menge billigen Wohnraum. In jeder westdeutschen Großstadt hätten sich Studenten, Ausländer und mittellose Kreative genau hier eingefunden, um mit stressresistenten Rentnern, Sozialhilfeempfängern und anderen nicht geflüchteten Bürgern den Humus zur Wiederbelebung des Viertels zu bilden. Eine Abdrängung und Konzentration finanzschwacher aber kreativer Pioniere in diesem Stadtteil findet jedoch nicht statt, da der soziale Druck fehlt. Billiger Wohnraum ist nicht nur auf dem Sonnenberg sondern fast überall in Chemnitz reichlich vorhanden. Es ist möglich ohne kämpferische Pionierleistung zu jeder Art und Preisklasse von Wohnraum zu kommen. Ein „alternatives Viertel“ scheitert in Chemnitz nicht an GGG und Stadtverwaltung sondern an den Rahmenbedingungen. Dazu kommt, dass, anders als in der Partnerstadt Manchester zum Beispiel, die wirtschaftliche Lage in Chemnitz nur kurzzeitig wirklich schlecht war (92-95). Alle statistischen Daten wie niedrige Arbeitslosigkeit, hohes Pro Kopf Einkommen, hohe Gewerbesteuereinnahmen, hohe Kultur- und Sozialausgaben im freiwilligen Bereich zeigen: Dieser Stadt geht es gut. Ganz zu schweigen von den unglaublichen Ausgaben im infrastrukturellem Bereich (vor allem Straßen und Brücken). Die Umstände schreien also nicht nach Zusammenarbeit und Selbstorganisation. Insofern werden alle Versuche der Partizipation jungen Menschen unter dem selbsbewusst-forschen Ansatz „hier ist eh alles verloren, lasst uns mal ran“ zwangsläufig scheitern, weil sie auf vollkommen falschen Annahmen beruhen.

… drehen Sie sich um und sagen sie laut: Nein! …

Die sogenannten „Verantwortungsträger“ in Chemnitz können es sich leisten, ungewünschte und aus ihrer Sicht unkooperative Initiativen ins Leere laufen zu lassen, weil ihr Potential an Partnern und sozialer Infrastruktur ausreichend erscheint. Dies verkürzt die Suche der „Verantwortungsträger“ nach neuen Lösungen zur Stadtentwicklung und zum Stadtumbau. Hier gewinnt Bewährtes ganz klar gegen Innovation. Dieser Kurs, so er denn als Politik formuliert wurde und nicht einfach nur passiert, ist kein Risiko. Alle statistisch belastbaren Umfragen zur Stadtentwicklung in Chemnitz beweisen, dass Stadtrat und Verwaltung der Stadt genau das machen, was die Mehrheit der Bürger möchte. Dazu gehören soziale Angebote genauso wie die Entwicklung einer modernen Stadtmitte mit repräsentativen Bürgertempeln wie Städtische Museen, Oper, Tietz, Gunzenhauser, Industriemuseum oder Mendelsohnbau. Möglicherweise geht es in diesen Fällen auch darum, den Ruf als hässlichste ostdeutsche Großstadt loszuwerden. Vor allem aber zielt diese Politik darauf, den Chemnitzern selbst zu demonstrieren „wir sind auch wer“. Unter diesem Gesichtspunkt erstaunt es nicht, dass 15.000 Chemnitzer per Postkarte gegen die Kürzung bei der Robert-Schumann-Philharmonie stimmten. Die vorgesehene Verkleinerung hätte zum Verlust des überregional ausstrahlenden Titels A-Orchester geführt. Ein Umstand der am Selbstbewusstsein der Chemnitzer nagte und diese auf die Palme brachte. Im Gegensatz dazu blieb die Gesamtheit aller schriftlichen Proteste gegen die angekündigten Kürzungen in der Jugendarbeit Anfang 2010 deutlich unter 1000 (ePetition + eMails).

Die „Bringt uns das ein positives Image?“-Frage ist also nicht zu unterschätzen für Initiativen, die in Chemnitz mit Hilfe städtischer Unterstützung etwas erreichen wollen. Ein potentielles Vorzeigeprojekt für die Partizipation junger Menschen bei der Stadtentwicklung, die Kombination Reba 84 plus Experimentelles Karree scheitert auch daran, dass es sich recht einfach als vernagelte Ruine mit zwei Straßenfesten im Jahr abtun lässt. „Anziehungspunkt für Chemnitz? Glauben wir nicht!“ Mit der wiederholten Darstellung unverwirklichter Ideen und undurchschaubarer Schwierigkeiten ist in der Öffentlichkeit wenig zu gewinnen.

… Knallen Sie die Tür zu! …

Die Verwaltung der Stadt Chemnitz bemüht sich den Dialog mit ihren Bürgern zu halten. Hauptinstrument sind punktuell stattfindenden Stadtteil- und Einwohnerversammlungen mit ihren üblichen Diskussionen zu Einkaufsmöglichkeiten, Park- und Spielplätzen sowie die stetig arbeitenden Quartiersmanager in den Stadtteilbüros vor Ort. Die Möglichkeiten dieser Institutionen sind allerdings sehr begrenzt. Umfangreiche Eigeninitiativen wie z.B. ExKa oder Wachterhäuser sprengen den Rahmen der Quartiersmanager. Da sind höhere Ebenen gefragt. So geschehen beim Wächterhaus Ziethenstraße, beim Brühlwohnprojekt und in Ansätzen auch beim ExKa.

Alternativ dazu kann ein Projekt auch alternativ sein. Das heißt darauf verzichten von jedem geliebt zu werden. Der Klassiker halt: SDS – Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen und Subversivität. Das ist der Kern eines alternativen Projekts.

Herrb

erschienen in Hausmeise 4.2010

Mit Liebe und Wordpress.

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