Anmerkungen zum Interview mit Grit Stillger im ReitbahnBoten
Mit dem ReitbahnBoten hat unser Lieblings-Fördergebiet nun eine eigene Stadtteilzeitung. Nach eigener Auskunft hat es sich das Blättchen zum Ziel gesetzt, die im Reitbahnviertel wohnenden und arbeitenden Bürger sowohl über die mit dem EFRE-Programm möglich werdenden Veränderungen als auch über weitere [sic!] Probleme, Sorgen, Nöte und Entwicklungen zu informieren.
Im Anschluss an dieses möglicherweise unfreiwillige Eingeständnis darf Grit Stillger, Mitarbeiterin im Amt für Baukoordination, in der ersten und aktuellen Ausgabe der Zeitung zu den geplanten Vorhaben im Reitbahnviertel Stellung nehmen. Sicher hätte die Redaktion zum Thema Experimentelles Karree auch Informationen von den Akteuren selbst bekommen können. Da aber die Ideen des Exka e.V. allmählich auch unabhängig von seinen Mitgliedern und Sympathisanten auf Interesse in der Stadt stoßen, darf sich Frau Stillger, die mit den Ambitionen des Vereins schon länger betraut ist, zu Besagtem äußern.
Zwar verschlug es uns zunächst die Sprache, was sie da verlauten ließ. Schließlich schien es uns aber doch Wert, das Gesagte hier wiederzugeben und zu kommentieren. Auf die Frage nach dem gegenwärtigen Stand des Experimentellen Karrees antwortete Frau Stillger:
Ein Investor hat Bestände an der Fritz-Reuter-Straße gekauft und will die sanieren, diese Verpflichtung ist er bereits mit dem Kauf eingegangen. Die GGG ihrerseits muss dafür sorgen, dass sie die Reitbahnstraße 80-84 und den Bernsbachplatz 5 und 6 ebenfalls saniert, damit eine homogene Entwicklung im Karree erfolgt, die gegenseitige Konflikte ausschließt. Beide Eigentümer gehen das ab 2010 in unterschiedlichen Standards an. Dabei werden bei der GGG auch preiswerte, sanierte Wohnungen für Studenten oder WGs entstehen. Der Investor der Fritz-Reuter-Straße kann aber seine sanierten Wohnungen nicht verkaufen, wenn das ExKa in unmittelbarer Nachbarschaft sein Konzept verwirklicht. Deshalb haben wir in vielen und langen Gesprächen mit den ExKa-Akteuren nach Alternativen in unmittelbarer Nähe im Viertel gesucht und ihnen zunächst die Karl-Immermann-Straße 23/25 angeboten. Dort hätten sie ihren multikulturellen Teil realisieren können. Für das Wohnen wären die Reichenhainer Straße 6 bis 10 oder die Ritterstraße 13 geeignet gewesen. Die Stadt hätte sich auch um die Schrittweise Instandsetzung der Reichenhainer Str. 12 als Domizil für die Vereine bemüht. Letztendlich schlugen aber die jungen Leute alle Angebote aus, sie wollten alles unter einem Dach. Deshalb musste die GGG das Nutzungsverhältnis mit dem Verein ‘Wiederbelebung kulturellen Brachlands’ zum 30. Juni 2010 kündigen. Inzwischen hat sich aus einem Teil der Akteure ein neuer Verein namens ‘Casa Phantom’ gegründet, der sich auf der Adelsbergstraße angesiedelt hat. In die Erdgeschosszone der Reitbahnstraße 82-84 und des Bernsbachplatzes 5 und 6 werden nach der Sanierung durch die GGG der KulturTreff, die Gläsernen Werkstätten und eventuell noch weitere Kultur- und Szeneeinrichtungen einziehen. Interessenten können sich gern an das Stadtteilmanagement wenden.
Wir verstehen also richtig: Die Bemühungen des Exka e.V. um ein alternatives, bisweilen studentisches Wohn- und Kulturprojekt, mussten abgewickelt werden, weil diese der Entwicklung des Karrees in Einklang mit anderen Investoren im Wege standen. Die neuen Vorhaben im Karree von Seiten Stadt und GGG sind nun: Wohnungen für Studenten, Kultur- und Szeneeinrichtungen. und dafür werden Interessenten gesucht!
Wer diese auf den ersten Blick absurd erscheinenden Gedanken verstehen will, wird sich fragen müssen, auf welchen Unterschied es den Chemnitzer Stadtplanern bei der Abservierung eines bestehenden Kulturprojektes zugunsten eines neu zu schaffenden ankommt.
Selbstverständlich würde sich die Vermietung von Wohn- und Ladenfläche nach marktüblichen Preisen richten, die auch die bei der Sanierung angefallenen Investitionskosten berücksichtigen. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass die Gebäudewirtschaft (GGG) hier ein großes Geschäft wittert, zumal die Auslastung der Wohneinheiten – noch durch das in den letzten Jahren entstandene Angebot an Mietwohnungen im Reitbahnviertel – begrenzt sein wird.
Es scheint vielmehr darum zu gehen, mit dem Experimentellen Karree einen Prozess zu stoppen, dessen Inhalte man aufgrund seines ausdrücklichen Charakters, nämlich ein urbanes Experiment zu sein, nicht unter Kontrolle hat; dessen Akteure sich in den letzten Jahren mit ihrer Kritik an der Stadtpolitik allerlei Gehör verschafft haben und die es bei dem Versuch der Durchsetzung ihrer Anliegen an Renitenz nicht haben mangeln lassen.
Dieser “Ausrutscher”, den sich die GGG mit der Vermietung der Reitbahnstraße 84 geleistet hat, unter der Annahme dass das Durchhaltevermögen des Projekts sowieso nicht von langer Dauer ist, würde mit einem Vermietungsneustart nicht noch einmal geschehen. Nicht nur weil marktübliche Mieten jedes Experiment verbieten. Auch darf davon ausgegangen werden, dass die künftigen Mieter der Ladenflächen den Konformitätsansprüchen der GGG genügen müssen – also konventionelles statt experimentelles Karree!
Es sieht ganz so aus, als wären die Konzepte, mit denen der Exka e.V. seine Projektidee bei GGG und Stadtplanung schmackhaft machen wollte, schließlich dort angekommen – zumindest was Schlagwörter wie Step Stone, Subkultur oder studentisches Milieu betrifft, denn von einem wirklichen Verständnis dieser Ideen kann keine Rede sein: Das Phänomen eines kreativen und engagierten Publikums rund um die Reitbahnstraße, in dem die Stadtplaner offensichtlich ein Indiz für lohnende Bemühungen in Sachen “Kultur- und Szeneeinrichtungen” sehen, folgt nämlich seiner eigene Dynamik, der man höchstens Schranken aus dem Weg räumen kann und sollte, die sich aber ansonsten einer Planung – noch dazu einer amtlichen bzw. geschäftlichen – entzieht. Gut denkbar also, dass sich derartige Anstrengungen von Seiten Stadt und GGG wieder einmal als Schuss in den Ofen erweisen.
Letzten Endes sind aber auch noch gehörige Zweifel darüber geboten, ob es sich bei den Verlautbarungen von Frau Stillger um ernsthafte Bemühungen handelt oder ob dabei bloß das aufbrausende Unverständnis in Bezug auf die Abwicklung des Experimentellen Karrees gedämpft werden soll. – Wie dem auch sei, für uns ist nichts dabei!
tsss 4. Mai 2010, 05:26 Uhr
waren nicht die gläsernen werkstätten auch teil des exkas? warum dan jetzt die aufregung dass die da rein kommen??? damit ist doch zumindest ein teilziel erreicht, oder nicht??
jan jenke 4. Mai 2010, 10:04 Uhr
@tsss
1. die “aufregung” bezieht sich darauf, dass einerseits das exka mit dem argument abgewatscht wird, ein wohn- und kulturprojekt im karree widerspäche der abmachung zwischen ggg und anderen investoren und andererseits studentenwohnungen und kulturflächen für die zeit nach der kündigung geplant sind.
2. wie du bereits bemerkt hast, WAREN die gläsernern werkstätte EIN TEIL des experimentellen karrees. wie wir hingegen schon des öfteren bemerkt haben, ist die idee des exka mehr als summe seiner einzelnen projekte. es soll ja gerade durch die ballung verschiedener kulturprojekte ein ort geschaffen werden, an dem leute mit unterschiedlichen interessen zusammenkommen und der dadurch seine eigene dynamik entfaltet und zu eigentümlichen synergien führt.
3. es ist auch nicht ganz zufällig, dass mit den gläsernen werkstätten dem langweiligsten und konventionellsten (ex-)projekt des experimentellen karrees eine nutzung nach der sanierung in aussicht gestellt wird. die im text angesprochenen befindlichkeiten gegen das exka von seiten der ggg handelt man sich mit den leuten von den gläsernen werkstätten nämlich nicht ein.
4. von einem “teilerfolg” kann auch deswegen nicht gesprochen werden, weil mit dem rauswurf des wkb und dem einzug der werkstätte nach erfolgter sanierung nicht etwa ein schritt in richtung verwirklichung des exkas gegangen würde, sondern dieser akt der letzte der tragikomödie “exka” wäre.
gruß
Sebastian Laube 4. Mai 2010, 10:49 Uhr
Mist, ich hab vergessen die Kommentare zu deaktivieren Diskussionen bitte im Forum führen. Danke